Rede zur Mahnwache in Mosbach

Veröffentlicht am 11.02.2023 in Reden/Artikel

Seit fast einem Jahr führt Russland nun Krieg gegen die Ukraine und wir stehen fast so lange hier, Samstag für Samstag. Nun haben wir eine sehr bewegte Woche hinter uns, nicht nur was die humanitäre Katastrophe durch das Erdbeben in der Türkei und in Syrien anbelangt.

Präsident Selenskij war am Mittwoch in Großbritannien, um die dort auszubildenden ukrainischen Soldaten zu besuchen. Er bat aber auch um weitere Waffenlieferungen, insbesondere um Kampfjets und Raketen.

Dann war der Präsident zu Gesprächen mit Macron und Scholz in Paris. Beide sagten ihm „Begleitung und Unterstützung bis zum Sieg“ zu. Und es gehe darum, einen Frieden zu gestalten, der der Ukraine gerecht werde. Scholz betonte. „Die Ukraine gehört zur europäischen Familie“. Auch hier bat er um schwere Waffen. Denn Deutschland und Frankreich hätten das Potenzial, das Blatt zu wenden.

Und anschließend bedankte sich Selenskij im Europäischen Parlament für die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger der EU im Kampf gegen Russland. Ich betone, er bedankt sich ausdrücklich bei uns allen und schloss die „tausend Dinge“ ein, die wir in diesem brutalen Krieg brauchen. Für ihn wäre „ein Beitritt der Ukraine zur EU ein Weg, um nach Hause zurückzukehren“.

Präsident Selenskij bat zudem um einen raschen EU-Beitritt. Das ist jedoch bei aller Bitte ein langer Weg mit sehr sehr vielen zu erledigenden Hausaufgaben. Ob Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit, Justiz, Landwirtschaft, Arbeitsmarkt, Finanzen, Sicherheits- und Außenpolitik. Wir reden hier über Jahre und nicht über ein „sofort“. Denn wir sehen leider auch, dass Länder an diesen Hausaufgaben scheitern können. Dennoch stehen wir, wie jetzt auch der Türkei, allen den Menschen in Krisen und Kriegen zur Seite.  Der Tenor des EU-Gipfels lautete: Wir werden die Ukraine solange wie nötig tatkräftig unterstützen.

Der ukrainische Botschafter Makeiev warb am Donnerstag um Verständnis für die Wünsche seines Landes: „Wenn wir um Waffen bitten, dann geht es um Verteidigung. Kritikern empfehle er, mit denen zu sprechen, die den Krieg erlebt, Freunde und Verwandte verloren haben oder jeden Tag 3x in den Schutzbunker gehen müssen“. Zum Thema Verhandlungen mit Russland merkte er an: „wir werden belogen, belogen, belogen. Eigentlich genüge ein einfacher Befehl Putins, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen und den Krieg zu beenden“.

Gestern zeigte sich Olaf Scholz optimistisch, was den Zeitplan für die Panzerlieferungen betrifft. Dazu gehören jedoch – für alle, denen es nicht schnell genug geht – auch Training, Ersatzteil- und Munitionsversorgung. Wunsch und Ziel ist, dass viele Staaten aktiv unterstützen.

Die russische Reaktion zum Thema Waffenlieferungen war: der Westen würde mit einer solchen Eskalation noch mehr Blutvergießen zu verantworten haben. Meine Frage: Und was ist, wenn wir nicht helfen? Der frühere NATO-Generalsekretär Rasmussen glaubt übrigens nicht, dass westliche Waffenlieferungen an die Ukraine zu einer Eskalation mit Russland führen. „Appeasement, also eine zurückhaltende Politik, gegenüber Diktatoren führt nicht zum Frieden, es führt zu Krieg, weil ihr Appetit grenzenlos ist. Wir dürfen uns daher nicht von Putin erpressen lassen“.

Die Ukraine will den Kampf gegen den russischen Aggressor weiterführen und nur dann direkt mit Russland verhandeln, wenn sich der Kreml zuvor vor einem international besetzten Tribunal für Kriegsverbrechen verantwortet und alle Truppen aus der Ukraine abzieht, auch aus den rechtswidrig annektierten Gebieten. Und dabei wird sie von der großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Denn die Ukrainerinnen und Ukrainer wollen ihre Freiheit, ihre Kultur, ihre Kunst, ihre Selbstbestimmtheit leben.

Putins Denken hat sich leider nicht geändert, wie die vielen Gespräche und Telefonate oder Pressemitteilungen zeigen. Auch wenn Russland das Wort Verhandlungen ausspricht, zeigt die Realität, dass er an seinem Ziel, die Ukraine vollständig zu kontrollieren, festhält und mit den anhaltenden Angriffen auf die Zivilbevölkerung und die Energieinfrastruktur den Widerstand in der Bevölkerung brechen will.

Die andere wichtige Seite der „Medaille“ ist die der diplomatischen Bemühungen, auf die wir setzen müssen. Diplomatie wird oft „verächtlich“ gemacht und nur die militärische Seite und die Debatte um immer mehr und größere Waffenlieferungen hervorgehoben. Ja, es gab bereits Verhandlungen, die am 17. Mai 2022 von beiden Seiten abgebrochen wurden.

Viele Menschen, und sicher auch viele unter uns, rufen zurecht zu mehr Diplomatie auf und zu einem umgehenden baldigen Waffenstillstand. Angesichts des großen täglichen Leids und der Zerstörung, so wir unsere Augen und Ohren offenhalten, sind solche Aufrufe absolut nachvollziehbar.

Wir dürfen daher nicht müde werden, so wie wir hier stehen, aber auch unser Land, zusammen mit den weiteren Unterstützerstaaten, wir alle dürfen nicht müde werden, den Menschen in der Ukraine zu helfen, mit humanitären, diplomatischen und so schwer es uns fällt, dies zu akzeptieren, auch mit militärischen Mitteln.

Aber es wäre jetzt falsch, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen oder dazu, einen Teil ihres Landes und damit auch der Menschen, die dort leben, aufzugeben. Es wäre auch ein falsches Signal an den Kreml, der darin seine Zermürbungsmethode bestätigt sehen würde, sondern einen kriegsmüden Gegner erst recht angreift.

In der jetzigen Auseinandersetzung schaffen – wir erinnern uns vielleicht an unseren Geschichtsunterricht, u.a. die Landung der Alliierten in der Normandie – nur militärische Erfolge, die Voraussetzung und die Chance auf echte Diplomatie. Bei aller militärischer Unterstützung müssen wir jedoch, und da folge ich unserer Bundesregierung, sehr besonnen agieren und die Gefahr einer Eskalation im Blick behalten.

Zu echten Verhandlungen, wird es erst kommen, wenn sowohl Russland als auch die Ukraine zu der Einschätzung gelangen, dass ein Waffenstillstand mehr bringt als Weiterkämpfen.  Sicher ist: die dann stattfindenden Verhandlungen und jeder Kompromiss werden das Kräfteverhältnis zwischen den Kontrahenten widerspiegeln. Und für diesen Zeitpunkt müssen wir die Menschen in der Ukraine so gut wie möglich aufstellen und sie auf den Moment vorbereiten, an dem sich das Fenster für Diplomatie tatsächlich öffnet.

Dr. Dorothee Schlegel, zur Mahnwache in Mosbach, am 11.02.2023

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